Bach Reworks: First Class Elektro-Klassik

Auf Bach Reworks bringt der isländische Pianist Víkingur Ólafsson zwei Welten zusammen – den Kosmos Bachs mit der elektronischen Musik.

Ólafsson versammelt eine einzigartige Gruppe von Interpreten und Komponisten: Ryuichi Sakamoto, Ben Frost, Peter Gregson, Valgeir Sigurðsson, Hans-Joachim Roedelius, Hildur Guðnadóttir, Skúli Sverrisson und György Kurtág. Sie transportieren die Musik von Bach erfolgreich in die Gegenwart.

Philip Glass lud Ólafsson ein, mit ihm auf einer Reihe von Konzerten seine Études zu interpretieren. Philip Glass – Piano Works erschien als Ólafssons erstes Album bei der Deutschen Grammophon. Sein zweites Album hieß Johann Sebastian Bach, eine Auseinandersetzung mit Originalwerken und historischen Klavierbearbeitungen des Bach’schen Œuvres. Besonders faszinierte ihn Bachs Präludium BWV 855a aus dem Wohltemperierten Klavier in der Bearbeitung von Alexander Siloti.

Für Bach Reworks ließ Ólafsson jetzt dieses Präludium von mehreren Künstlern als Remix bearbeiten. Gregson, Frost, Roedelius, Sverrisson und Sigurðsson schufen dabei aus Ólafssons ursprünglicher Interpretation des Präludiums ihre Musik. Nur der Remixer Sakamoto entschied sich für ein anderes Werk Bachs, für das Konzert d-Moll, BWV 974. Hinzu kommen zwei Transkriptionen aus Bach’schen Kirchenkantaten, eine von Kurtág und eine von Ólafsson, und freie Inspirationen der Bach’schen Musik, darunter auch ein reines Cellostück.

Bach Reworks beginnt mit »For Jóhann« und ist Jóhann Jóhannsson gewidmet, der im vergangenen Winter mit nur 48 Jahren starb. Der Komponist herausragender Soundtracks, etwa von Sicario oder Arrival, war Ólafssons Freund und musikalischer Partner. Die behutsamen Piano-Töne lassen ein modernes Präludium entstehen. Immer wieder scheint dessen Melodie innezuhalten, als wolle es den Hörer an seine Sterblichkeit erinnern.

Valgeir Sigurðsson, bekannt geworden als Toningenieur und Programmierer von Björk, schafft vielschichtige, unberechenbare elektronische Sounds. Hier geht es nicht mehr um Harmonien, sondern um Klangfarben. So sprengt Sigurðsson den Rahmen und erschafft zugleich einen neuen. Diese Spannung löst Ólafsson mit »Prelude in G Major« auf, das den kristallklaren Anschlag von »For Jóhann« aufnimmt, dessen tragischer Stimmung aber mit Gelassenheit begegnet.

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Beim jungen Cellisten Peter Gregson erklingt Ólafssons Interpretation des Präludiums durch einen Halleffekt in der Ferne, ein elektronischer Bass setzt einen unerwarteten Gegenpol, ein Gluckern bringt humorvoll die Welt der natürlichen Klänge ins Spiel. Dann erschallen die gleißenden, flirrenden Soundscapes und statischen Orgeltöne von Ben Frost, dem Enfant terrible der Szene. Und es reißt uns den Boden unter den Füßen weg.

Die Angst vor dem Bösen schimmert durch die Ordnung und Standfestigkeit des Glaubens in der Originalkomposition von »Widerstehe doch der Sünde« aus BWV 54. Hier bearbeitet Ólafsson zum ersten Mal selbst ein Werk von Bach für Klavier, eine Kirchenkantate. Als moderner Mensch nimmt er sich des Stoffes an.

Der japanische Musiker Ryuichi Sakamoto setzt mit seiner elektronischen Musik Ólafssons Klavierspiel einen satten, selbstbewussten Anschlag entgegen.

Und in der »Minor C Variation« der isländischen Komponistin Hildur Guðnadóttir verschwindet Ólafssons Piano ganz. Die ruhig an- und abschwellenden Cellotöne erzeugen einen majestätischen Rhythmus, der ebenso an Bachs Größe wie an Ólafssons Demut anknüpft.

»… And At The Hour Of Death« ist eine Bearbeitung des C-Dur-Präludiums BWV 846, wieder geht es um das Ende des Lebens und die Frage, wie wir ihm entgegentreten. Diesem existenziellen Ernst antwortet Krautrock-Veteran Hans-Joachim Roedelius mit Witz und Humor. Er stellt Ólafssons Aufnahme zurückhaltend elektronische Sounds an die Seite – ein unaufdringliches Zwiegespräch mit dem Werk des Meisters.

Wie Hildur Guðnadóttir erforscht auch Skúli Sverrisson mit »Kyriena« die Beziehung der zeitgenössischen Musik zu Bach. Statt das Grundmotiv der Siloti-Bearbeitung harmonisch weiterzuentwickeln, verbindet er es mit elegischen Streicher- und Synthesizerklängen und erzeugt so zum Ende des Albums einen entrückten, sphärischen Zustand.

Als versöhnlichen Epilog hat Ólafsson die Transkription für vier Hände der Sonatina aus »Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit«, BWV 106, von György Kurtág ausgewählt. Kurtág, Ólafsson und Halla Oddný Magnúsdóttir übertragen Bachs Werk auf eine andere Ebene, an einen Ort, an dem die menschlichen Widersprüche nebeneinanderstehen. Wiederum zeigt sich Víkingur Ólafssons einzigartiges Talent, denn in seinem schnellen Wechselspiel von Bach und der Gegenwart wird das Werk des alten Meisters neu erlebbar gemacht.

Die Bach Reworks EP1 wurde bereits am 05.10.18 digital veröffentlicht. Der digitale Release von EP2 kommt nun zeitgleich mit dem VÖ der Vinyl, auf der EP1 und EP2 zusammengefasst sind.